Ein ganz persönliches Statement von Alex Schechinger.
Vor einigen Jahren habe ich das erste mal vom »Frauenfliegen« gehört. Ich war skeptisch und neugierig zugleich. Ging es darum sich das gegenseitige Leid zu klagen? Ging es darum sich »gegen die Männerwelt« zu solidarisieren? Aber es kam leise Hoffnung in mir auf, dass es auch eine andere Art von Lernen und Weiterentwicklung bedeuten könnte.
Nach einer länger anhaltenden Talfahrt, die zwar nichts mit dem Fliegen zu tun hatte, sich aber darauf auswirkte, hatte ich mit Ängsten beim Fliegen zu tun. Meine Sorgen galten dem Umgang mit Turbulenzen, der Angst »bis ins Weltall gebeamt« zu werden, aber auch der Phase der Landung im Endanflug. Ich war soweit, das Fliegen an den Nagel zu hängen.
Auch Flugreisen und private Coachings halfen nicht. Andere Piloten waren augenscheinlich frei von solchen Sorgen und kannten nur höher, schneller, weiter. Ich zog mich weiter zurück. Ich stolperte irgendwann über ein Groundhandling Seminar eigens von und für Frauen konzipiert. Wieder überlegte ich ob dass das Richtige sein konnte. Ich griff nach diesem letzten Strohhalm.
Neun Frauen trafen sich im Sommer 2022 zum Seminar. Ich würde schätzen im Alter von Mitte 20 bis Ende 50. Nach einem ersten Kennenlernen zeichnete sich schon ab, dass die Skepsis gegenüber den Frauen unbegründet sei und auch bleiben würde. Alle standen mit beiden Beinen im Leben, alle wussten was sie wollten und wer sie sind. Es gab kein befürchtetes Gezicke und keine Stutenbissigkeit. Alle öffneten sich und berichteten kurz und knapp von ihren Stärken und den vermeintlichen Schwächen. Was daraus entstand, war eine Woche von Freude, Lachen, Lernen, gegenseitiger Wertschätzung, sich Mut machen und einfach nur Sein zu dürfen und sich angenommen und angekommen zu fühlen. Jede von uns hat ein solides Basiswissen und Kenntnis mitgebracht. Jedem von uns fehlte ein bisschen Mut und Selbstbewusstsein.
Unsere Woche war geprägt von einer anderen Art des Lernens. Endlich durfte ich sagen was mich umtreibt. Ich weiß dass ich nicht ins Weltall gebeamt werde. Trotzdem war ich erstaunt dass es so mancher Pilotin genau so erging. Die Angst immer weiter in die Höhe getragen zu werden und die Sorge wieder runter zu kommen. Die gefühlte Unwirklichkeit in großer Höhe, evtl. verbunden mit Turbulenzen. Ja und ich weiß auch, dass Höhe Sicherheit bedeutet. Sorgen und Ängste haben ihren Platz bekommen. Das Teilen und Erkennen, dass andere ähnliche oder andere Gedanken haben, hat uns zum Lachen und Einordnen dieser Gedanken geführt und zu einem Team geformt. Mit jedem Tag haben wir unseren Gleitschirm mutiger angefasst, haben ihn und den Wind zunehmend als unseren Freund und Spielgefährten empfunden. Wir haben uns gegenseitig GESEHEN, Entwicklungen wahr genommen, Mut gemacht, Stolz und Selbstbewusstsein gestärkt. Aber auch die kleinen Rückschläge durften sein und wurden wahrgenommen. Das Feedback hierzu war IMMER wertschätzend und positiv konnotiert. Manchmal kam es prompt, manchmal am Abend, manchmal auch erst auf Nachfrage.
Ich kann mich an eine Situation in mitten der Woche erinnern. Der Wind war stark mit thermischen Böen. Ich stellte meinen Schirm mühelos auf. Ich ließ ihn in Scheibenwischerbewegungen von links nach rechts gleiten. Eine Böe erfasste mich und zog mich, mein Schirm nach wie vor in der Luft, quer über die ganze Wiese. Ich war starr vor Schreck. Von irgendwo her hörte ich (es war wirklich) ein Kommando: „Steh auf!“
Ja, natürlich! Ich stand auf, mein Schirm wieder über mich bringend, dachte ich, JA ich stehe auf! Heute noch, nach fast 3 Jahren höre ich immer wieder: Steh auf! Nämlich immer dann, wenn eine Sorge überhand nehmen will. Das alles mag einfach und logisch klingen. Ich empfand die Erfahrung in der Frauengruppe als sehr besonders. Für mich war es eine Woche in einem geschützten Umfeld, ohne Leistungsdruck. Emotionen haben einen Platz erhalten und sind ins rechte Licht gerückt worden. Dadurch war mir ein freies und unbeschwertes Lernen möglich.
Alle Grundlagen waren da, aber das Selbstbewusstsein wurde gestärkt und Feinheiten wurden herausgearbeitet. Ich denke so oft an diese Woche und an die Frauen zurück, daran was wir innerhalb der Gruppe GEMEINSAM gelernt und erreicht haben. Vor allem aber, wieviel wir gelernt haben und wieviel wir gelacht haben.
Heute fliege ich wieder gerne und meist auch unbeschwert. Aber ich muss auch nicht mehr bei jedem Startplatz und jeder Bedingung dabei sein. Ich suche mir das aus was ich als schön und machbar empfinde und das variiert über das ganze Jahr und das ist in Ordnung.
In unserer Woche ging es im Übrigen nie um Frauen gegen Männer oder umgekehrt. Es ging aber immer wieder darum, dass die Herangehensweise von Männern und Frauen unterschiedlich sein kann und es uns (dieser Gruppe) geholfen hat, ohne einen (selbstauferlegten) Leistungsdruck zu trainieren und »Unzulänglichkeiten« benennen zu dürfen.
Ich fliege mittlerweile oft in Gruppen die auch einen hohen Frauenanteil haben. Diese Gruppen sind wunderbar und wertschätzend. In diesen gemischten Gruppen ist alles da. Mut, Vorsicht, Selbstbewusstsein, Zurückhaltung, Erfahrung. Diese Liste kann beliebig erweitert werden, denn am Ende des Tages entsteht eine gesunde Mischung. Ich habe den Eindruck, dass wenn wir in der Lage sind uns auszutauschen, wir uns auch gegenseitig weiterbringen und weiterhelfen.
Als ich 2017 mit dem Fliegen anfing, ging ich meinen Weg des A- und B-Scheins sehr schnell. In erster Linie getrieben von mir selbst aber im Nachgang betrachtet auch deshalb um „mithalten“ zu können und nicht als Frau hinten anzustehen. Das Fliegen habe ich fast aufgegeben, weil ich dachte, dass ich falsch bin. Keine Wettkampfambitionen, nicht die Höchste sein zu wollen, nicht am weitesten fliegen zu wollen. Ich war nicht DIE aus den Hochglanz-Broschüren. Ich bin einfach eine Pilotin die jede Jahreszeit unter ihrem Schirm liebt.
Heute stehe ich selbstbewusst zu mir. Zu meinen Fähigkeiten und Ängsten beim Fliegen.
Turbulenzen sind mir nicht geheuer.
Viele Menschen am Startplatz stressen mich.
Große Höhen empfinde ich als unwirklich.
Ich liebe das Material meines Schirms und der Leinen zu spüren.
Ich liebe meine Starts und Landungen.
Ich liebe es, den Startplatz zu überhöhen.
Ich liebe es, den Gipfel des Hausbergs zu überhöhen und genieße die Weite!
Ich liebe Sicherheitstrainings und die damit verbundenen Manöver.
Ich liebe es, wieder wohlbehalten am Boden angekommen zu sein.
Ich genieße das Landebier, allein oder mit Euch zusammen.
Ich liebe es und es tut mir gut, draußen zu sein, den Wind zu fühlen und die Luft zu spüren.
(Alex)